Xingyi (Hsing I Ch’uan)


Xingyi Quan, das auch "Xinyi liuhe Quan" genannt wird ist eine der klassischen Kampfkünste Chinas und weist ebenfalls eine Übereinstimmung mit der daoistischen Philosophie auf. Als dessen Begründer gilt gemeinhin Ji Jike (1604 – 1683 n. Chr.) aus der Provinx Shanxi, der diesen Kampfstil um 1640 systematisiert haben soll. Das Xingyi Quan gliedert sich heute in drei Schulen: die Shanxi-, die Hebei- und die Hunan-Schule. Davon gilt die Shanxi-Schule als die ursprünglichste, doch die Hebei-Schule ist heute am weitesten verbreitet.

Obwohl Xingyi Quan zu den so genannten inneren Kampfstilen (neijia quan) zählt, ist es doch keineswegs eine weiche Kampfkunst, sondern zeichnet sich durch eine zweifelslose Aggressivität aus. Im Gegensatz zum eng verwandten Bagua Quan, das ganz auf Abwehr ausgerichtet ist, betont das Xingyi Quan die Offensive.

Die Bewegungen sind geradlinig und direkt und werden in der Regel in Richtung des Gegners ausgeführt. Im Kampf gilt es nicht zu lange abzuwarten, sondern die Deckung des Gegners sofort zu durchbrechen. Ein Zurückweichen gibt es nicht und auch Täuschungsmanöver fehlen ganz. Dem Grundprinzip dieser Kampfkunst zufolge sollen vielmehr die Energie und der Wille des Ausübenden so stark sein, dass er seinen Gegner ohne jegliche Finten bezwingen kann. Xingyi-Bewegungen basieren auf Santishi (der dreifachen Stellung), Wuxing (den fünf Elementen), und Shierxing (den 12 Tierformen).

Die fünf Grundtechniken des Xingyi Quan leiten sich, wie sich im Folgenden zeigt, von den fünf Elementen ab:
Piquan, die spaltende Faust, Bezug nehmend auf das Element Metall,
Zuanquan, die bohrende Faust, Bezug nehmend auf das Element Wasser,
Bengquan, die berstende Faust, Bezug nehmend auf das Element Holz,
Paoquan, die explodierende Faust, Bezug nehmend auf das Element Feuer,
Hengquan, die horizontal ausscherende Faust, Bezug nehmend auf das Element Erde.

Im Xingyi Quan werden die Fünf Elemente also in Bewegungen umgewandelt. Durch eine dynamische Abfolge dieser Bewegungen werden die Elemente dann in eine Beziehung zueinander gesetzt.

Doch nicht nur in den fünf Grundtechniken spiegelt sich die daoistische Ausrichtung des Xingyi Quan wider, auch die Ausgangsstellung für alle Bewegungen, Santishi genannt, bezieht sich auf ein grundlegendes Prinzip der chinesischen Philosophie und zwar das der Drei Mächte im Universum: Himmel (Tian), Erde (Di) und Mensch (Ren). Dementsprechend unterteilt das Xingyi Quan den Körper in drei Abschnitte: den Kopf (der den Himmel verkörpert), die Hände (die für die Erde stehen) und die Füße (die dem Menschen entsprechen).

Darüber hinaus sind bei der Entwicklung des Xingyi Quan auch die exakten Beobachtungen von verschiedenen Tierbewegungen, die stilvoll imitiert werden, charakteristisch, wobei nicht nur die äußere Form der dargestellten Bewegung, sondern auch die damit verbundene Absicht und die innere Ausdruckskraft zählt.

Die 12 Tiere sind: Drache, Tiger, Pferd, Sperber (auch Falke), Affe, Schwalbe, Krokodil (auch Schildkröte), Huhn, Schlange, Vogel Strauß (auch Kranich), Adler und Bär, wobei die beiden letzten Tiere in der Regel nur in Kombination auftreten. Ganz in Übereinstimmung mit der Lebensweise daoistischer Weiser, die durch das aufmerksame Beobachten von Tieren einen Einblick in die menschliche Wesensnatur und die Gesetze des Universums zu erlangen suchten, wird im Xingyi Quan durch das exakte Nachahmen der zwölf Tiere versucht zur Selbsterkenntnis zu finden. Denn die intensive Beschäftigung mit der Wesensnatur des nachgeahmten Tieres erlaubt es dem Übenden letztlich zu seiner eigenen Wesensnatur durchzudringen. In dieser Hinsicht ist das Xingyi Quan also eine kämpferische Form der Kontemplation. Im Grunde geht es nicht nur darum, die äußere Kampfform zu beherrschen, sondern sein inneres Wesen zu vervollkommnen.

So erklärt sich denn auch der Name des Xingyi Quan: "Xing" steht für die äußere Form der Bewegungen und "Yi" für den Willen, die Absicht und den eigentlichen tiefen Sinn als Teil der eigenen Wesensnatur. "Xing" ist sozusagen die 'äußere Hülle' für das "Yi", welches zusammen mit dem "Qi" (in etwa mit Lebensenergie zu übersetzen) den 'Inhalt' darstellt. Xing, Yi und Qi müssen ein Ganzes werden, bzw. Innen und Außen müssen sich wie Yin und Yang ergänzen und gegenseitig unterstützen. Erreicht man diese Stufe, so hat man das Wesen des Xingyi Quan verstanden.


Piquan, Spaltende Faust